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Ludwig Leichhardt, Hauptkommissar Kripo Wiesbaden

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Veranstaltungshinweis: Christiane Geldmacher liest bei "Kunst gegen Kohle"

Auf der Veranstaltung Kunst gegen Kohle am 17. April wird Christiane Geldmacher im ehemaligen Zollamt Wiesbaden ihren Kurzkrimi Denkt an das Pflaster vor der Staatskanzlei lesen.


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Das Kommissarblog hat die Genehmigung, den Kurzkrimi um die Tiefbaumorde in der Fußgängerzone abzudrucken. Er ist 2007 erschienen in Mörderisches Wiesbaden 5 des Frankfurter Societätsverlags:


Denkt an das Pflaster vor der Staatskanzlei!

Die Tiefbaumorde in der Wiesbadener Fußgängerzone sind im Hochsommer passiert. Gerade als der Boden von der Rheinstraße bis zur Webergasse endlich zu war – was kein Mensch mehr für möglich gehalten hatte; ganze Generationen von Wiesbadenern waren ja seit Jahrzehnten von Absperrbändern, Löchern und Krach traumatisiert – gerade da hatten ein paar Pflasterer ein paar Leute aus dem Tiefbauamt umgebracht. Und sie vergruben sie irgendwo in der Fußgängerzone und sagten nicht wo. An sich lag dieser Fall offen zu Tage und den Kommissaren gelang es auch rasch, ihn lückenlos zu rekonstruieren. Die Motive hatten offenbar was mit Stress (seitens der Pflasterer) und Amtsanmaßung (seitens der Tiefbaubeamten) zu tun, verkündete die Mordkommission Fußgängerzonenmorde Wiesbaden in der Pressekonferenz. Dazu muss man wissen, dass die Hitze in dem Sommer brutal gewesen ist, kein Tag unter 30 Grad, eine Scheißhitze einfach. Kein Wunder, dass die Pflasterer ausflippten. Jeder Pflasterer, der im Sommer in einer Fußgängerzone damit beschäftigt ist, Boden zu pflastern, rastet irgendwann aus. Er schuftet in der prallen Sonne, während die Leute um ihn rumdappen, ihn rumschubsen und ihm ihr Eis und ihre Pommes Frites vor die Nase knallen. Dauernd klatscht dem Pflasterer Ketchup auf die Platte, die er gerade verlegt hat.

Und klar, dass das denen irgendwann zu viel wurde. Schon lange hatte man in der Stadt gemunkelt, dass der schwärende Pflasterkrieg eines Tages ein erstes Todesopfer fordern würde. Und dann waren es gleich zwei.
Die Presse freute sich übrigens bis zur Besinnungslosigkeit über die Jahrhundertmorde in Wiesbaden und berichtete jeden Tag darüber. So was hatte es noch nie gegeben – dass zwei Leichen in einer Fußgängerzone lagen und keiner wusste wo. Dem Wiesbadener schwoll die Brust: Die Stadt, die bis dahin immer als verschlafen und kurstädtisch gegolten hatte, schaffte es sogar bis ins ZDF-Morgenmagazin und in den Stern. Dabei wurde allgemein die Geschichte des Wiesbadener Pflasters aufgearbeitet, angefangen mit dem Pflaster aus der Gründerzeit - mit Lilien und Kastanienblättern; die Denkmalpfleger vom Biebricher Schloss führte jeden Samstag Interessierte über dieses Pflaster, das noch in der Wilhelmstraße und im Nerotal zu sehen war - dann mit der Zeit, als alles mit Teer zugeschmoddert wurde und schließlich die Sechziger, als sie in der Fußgängerzone den verhängnisvollen Waschbeton mit Pflastersteinbordüre auslegten. Und der Innenstadt damit den Rest gaben. Auf Jahrzehnte machten sie damit aus der Fußgängerzone eine Stadtbrache, eine offene Wunde. Ihr Niedergang war nicht mehr aufzuhalten. Die einstmals so schöne Kirchgasse wurde zu einer abartigen Banalität, die es an Hässlichkeit mit den Fußgängerzonen in Offenbach, Ludwigshafen und Stuttgart mühelos aufnehmen konnte. Der Einzelhandel zog weg, der Großhandel zog weg. Alle machten dicht. Mehr als 30 Jahre musste Wiesbaden mit dem Waschbeton leben, dann erst gab`s ein Einsehen und die Stadtverwaltung versuchte, den Fehler wieder auszuwetzen.

Aber wetze mal was aus, was schon so lange daliegt und so fest zementiert und so schlecht wegzumachen geht wie dieser Waschbeton. In Baden-Baden, der Kurstadtkonkurrenz aus dem Süden, hatten sie es schöner, fand die Lokalpresse. Da läge das alte Pflaster noch auf den Gassen wie eh und je, da hätten sie ihre alteingesessenen Geschäftchen wie eh und je und da säßen die Leute in den alten Cafés wie eh und je. So sollte man es also bitteschön auch in Wiesbaden machen, dann würden eines Tages vielleicht auch die reichen Russen zurückkommen. Momentan waren leider nur die armen Russen da; aber selbst die machten es sich schöner als die Ur-ur-Wiesbadener. Sie zogen sich ins Kiez zurück, machten es sich quasi in der Nische gemütlich. Wie überhaupt die Migranten in Wiesbaden. Die Fußgängerzone war denen plusminus egal, sie hatten keine traditionelle Bindung an sie, ein paar Schrott-Euroläden setzten sie rein, das musste reichen. Ihren richtigen Basar zimmerten sie sich ins Westend, dass du gedacht hast, du bist in der Türkei. Mit Läden und Obst und Gemüse und Schmuck und Kruschel und Trödel und Brautkleidern und Herrenbekleidung und Bäckereien und Cafés und Restaurants. Sie klebten Laden an Laden, klein, persönlich, unverwechselbar. Die ganze Wellritzstraße rauf und die ganze Bleichstraße runter. Frisch, duftend, bunt. Von einer Krise des Einzelhandels keine Spur. Händler aus aller Herren Länder palaverten zu jeder Tages- und Jahreszeit auf der Straße, als gäbe es in Wiesbaden keinen Januar. Durch die Fußgängerzone schleppten sich nur noch die, die dort arbeiteten und die Stadtverwaltung. Alle waren sie depressiv und schlecht gelaunt und alle ließen sie es die anderen spüren.

Was also tun mit dem Problemfeld Fußgängerzone? Der Waschbeton musste weg, darin war man sich einig. Am schönsten wäre zweifellos das traditionelle, historische Wiesbadenpflaster gewesen, aber das war der Stadt zu teuer. Nicht zu teuer dagegen war der chinesische Granit, also fuhren der Tiefbauamtsleiter und der Oberbürgermeister nach China – eine nette Dienstreise!, schnappte die Lokalpresse – und kehrten ganz begeistert zurück: Um die Hälfte wäre dieser chinesische Stein billiger als der deutsche, trotz der 8000 Seemeilen, die er zurück zu legen hätte. Verglichen mit dem Deutschen war der Chinese ein Schnäppchen. Das Tiefbauamt breitete ihn probeweise auf ein paar Quadratmetern in der Fußgängerzone aus, und dann war die spannende Frage: Na, wie war er? Wie fand ihn die Bevölkerung?

Die Bevölkerung reagierte ambivalent. Der dreckt ja furchtbar ein, rief sie, schaut mal, das geht bestimmt nicht mehr weg. Das ist eine einzige Sauerei nach so kurzer Zeit, wir stehen hier erst zehn Minuten und schon gibt’s den ersten Ketchupfleck. Die Lokalpresse griff das auf – wie sie immer jedes beliebige Genöle jedes vorbeistreunenden Straßenköters aufgriff – und schrieb, mit einem deutschen Stein wäre das nicht passiert. Der Natursteinverband sekundierte: Der chinesische Granit wäre ein poröser Wassersäufer, wie Küchenpapier würde er sich mit Dreck vollsaugen. Er wäre schmutzanziehend und würde alles absorbieren. Man hätte der Stadtverwaltung ja Beratung angeboten, aber was machst du gegen diese Billigmentalität landauf, landab?

Der Tiefbauamtsleiter keifte schließlich entnervt herum, dass die Bevölkerung eben besser auf ihr Essen und ihr Trinken aufpassen sollte; das könnte man erwarten, wenn ihr ein schöner neuer Stein hingelegt würde. Und er rückte mit einer Flotte von Hochdruckreinigern an, um den Granit sauberzumachen: Man muss ihn nur regelmäßig saubermachen!, rief er, dann ist das ein Superstein!
Aber da kannst du dir jetzt die Kosten für die Stadt vorstellen, wenn alle zwei Monate so ein Granit mit Hochdruck gereinigt werden muss. Da entwickelt sich der vorhersobillige Wunderchinese im Haushalt ratzfatz zu einer Kostenfalle. Das rechneten die verschiedensten Bürgerinitiativen dem Stadtkämmerer vor und schlugen ohne mit der Wimper zu zucken den Bogen zur Globalisierungsfalle und zur Ausbeutung der Dritten Welt und zur Kinderarbeit und zu Coca Cola und zu Shell und zu Guantanamo.
Kurzum, die Außenwirkung war ein Desaster. Schließlich einigte man sich nach zähen Verhandlungen auf den folgenden Kompromiss: Der chinesische Granit bleibt da, wo er ist und wird regelmäßig gereinigt. Der deutsche Granit bleibt auch da, wo er ist (nämlich vor der Stadtverwaltung) und wird nicht gereinigt. Löcher werden bis auf weiteres nur zugeteert.

So weit, so gut. Fast wäre es also so weit gewesen, dass die Fußgängerzone fertig gewesen wäre, jedenfalls im Großen und Ganzen. Fast hätten sich alle auf ein besinnliches Weihnachten in der Fußgängerzone freuen können – wenn nicht plötzlich diese Pflasterermorde passiert wären.
Die Mordkommission Fußgängerzonenmorde Wiesbaden rekonstruierte den folgenden Tathergang: Die Mordopfer Ebert und Richter, zwei Beamte des Tiefbauamts, waren nach dem Debakel mit dem Chinagranit vom Tiefbauamtsleiter dazu vedonnert worden, die restlichen Pflasterarbeiten in der Kirchgasse genau zu überwachen. Im Zentrum der Kritik hatten die Pflastererarbeiten vor der Hessischen Staatskanzlei am Kochbrunnen gestanden. Die Bevölkerung war schon auf dem neuen Pflaster rumgelaufen, als die Sperrbänder noch gar nicht weg waren und behauptete, es wäre schief, wellenförmig und beulenartig. Der Kranzplatz sähe so aus, als hätte er die Beulenpest und wenn sie, die Bevölkerung, zur Staatskanzlei wollte, würde sie sich auf dieser Stolperstrecke das Genick brechen. Der Tiefbauamtsleiter lud schreiend die Presse ein und erklärte, das Pflaster vor der Staatskanzlei sei Eins A und Euronorm: Drei Millimeter dürften die Steingrößen nach oben und nach unten abweichen, was zwangsläufig schmalere und breitere Fugen ergäbe, die aber bei Naturstein ganz normal wären. Kein Grund, durchzudrehen. Mit Lot und Wasserwaage lief er herum und rechnete es allen vor, die es wissen und nicht wissen wollten.

Aber wie die Presse so ist, blieb wieder nur das Negative hängen. Am nächsten Tag titelte sie Denkt an das Pflaster vor der Staatskanzlei! und das wurde schnell zu einem geflügelten Wort in der Stadt. Es klang dem Tiefbauamtsleiter und dem Bürgermeister das ganze Jahr lang in den Ohren. Als es dann nach dem Fugengau an der Staatskanzlei an die Pflasterung des letzten Abschnitts in der Kirchgasse ging, stellte der Tiefbauamtsleiter extra zwei Beamte zur Überwachung der Arbeiten ab, die nur auf die Fugen achten sollten. Unter dem Strich lief das aber darauf heraus, dass die Herren Ebert und Richter – beide von Hause aus Handwerkersöhne – mitmachten bei der Arbeit. Zusammen mit den Pflasterern knieten sie auf dem Boden und vermaßen mit ihnen die Steine. Sie sortierten sie und die Pflasterer mussten sie dann einsetzen. Dauernd kontrollierten sie die Fugenabstände und dauernd mussten sich die Pflasterer von ihnen Bemerkungen wie Zu dick! Zu dünn! Passt nicht! Nochmal! ertragen. Die Pflasterer versuchten, sich ein dickes Fell zuzulegen, aber zu den Tiefbauamtsleuten gesellten sich Besserwisser, Rentner und Passanten. Die prangerten Wellen hier und Verwerfungen dort an und skandierten immer wieder Denkt an das Pflaster vor der Staatskanzlei! Alle waren sie auf einmal Fachleute und hatten mehr Ahnung von dieser Arbeit als die Pflasterer selbst, die schon seit 35 Jahren in ihrem Job waren.

Aber erkenne mal die Warnzeichen, wenn du vom Tiefbauamtsleiter die Weisung hast, den Pflasterern auf die Finger zu schlagen, wenn sie mit der Fuge rumschlampen. Und die Presse ließ auch nicht mehr locker. Jeden Tag berichtete sie über die ungleichmäßigen Fugen und griff die Pflasterer an. Es wäre bodenlos, was sie da hinlegten, hässlich, billig und chinesisch
Im Nachhinein konnte man die Eskalation des ganzen Konflikts übrigens dem Pflaster ansehen. Nur 150 Quadratmeter mussten am Schluss noch gelegt werden, um die Fußgängerzone fertig zu stellen, eigentlich eine überschaubare Aufgabe. Aber ab Quadratmeter 50 wurde das Pflaster nervös, ab Quadratmeter 75 hüppelig und ab Quadratmeter 100 erschienen Stüfchen. Bei Quadratmeter 120 wurden aus den Stüfchen Treppen (als die Tiefbauamtsleute schon lange daheim waren und die Füße hochgelegt hatten) und die Passanten fragten die Pflasterer, ob das Kunst wäre und die brüllten Wir geben euch gleich Kunst! Sie behaupteten, die Treppchen wären beabsichtigt und dazu da, die Wahrnehmung der Bevölkerung beim Laufen zu schärfen. Als die Beamten Ebert und Richter am nächsten Tag gut ausgeruht wieder auf der Baustelle erschienen, fielen ihnen fast die Augen aus dem Kopf und es kam zu einem furchtbaren Krach zwischen ihnen und den Pflasterern. Der Vertrag wurde fristlos gekündigt, obwohl nur noch 30 Quadratmeter zu legen waren.

In dieser Nacht verschwanden die beiden Tiefbaubeamten und erst merkte es keiner. Weil der eine allein lebte und der andere eine Affäre mit einer Apothekerin hatte und sowieso kaum zu Hause war. Erst als die beiden auch am übernächsten Morgen nicht im Amt erschienen, wurde der Tiefbauamtsleiter misstrauisch und lief zur Baustelle in die Kirchgasse. Aber da waren nur die Pflasterer, die an den letzten 20 Quadratmetern herumbosselten. Haben Sie die Beamten Ebert und Richter gesehen?, fragte der Tiefbauamtsleiter. Sie schüttelten den Kopf, deuteten aber mit einem Das-glauben-Sie-nicht-Blick auf ihr Pflaster: Schauen Sie mal, wir sind fast fertig!

Von wegen. Noch den ganzen nächsten Tag brauchten sie, bis sie so weit waren. Genauso lange wie die Kripo. Direkt nach der Legung des letzten Steins – der Tiefbauamtsleiter hatte drauf gedrungen, dass das erst fertig gemacht wurde – wurden sie abgeführt und wegen der Leichen vernommen. Aber die Pflasterer schalteten auf stur und sagten nicht, wo sie sie vergraben hatten.
Was die Tiefbaubranche betraf, war das natürlich ein geschickter Schachzug, denn es sicherte die Arbeitsplätze bis weit ins übernächste Jahr hinein. Die Fußgängerzone musste von vorne bis hinten wieder aufgegraben werden. Der längst fertige Kranzplatz, der längst fertige Mauritiusplatz, die längst fertige Langgasse: Alles wurde wieder zu einem einzigen verrohrten Sandkanal.

Und erst im Herbst fanden sie den Tiefbaubeamten Ebert am Kochbrunnen, da, wo das Pflaster angeblich so schlecht verlegt worden war. Aber den anderen hatten sie damit immer noch nicht. Den entdeckte erst ein Bildhauer im darauffolgenden Sommer: Er hatte vor zwei Jahren ein paar Skulpturen auf dem Mauritiusplatz installiert, ungefähr zur selben Zeit, als auch die Pflasterer vor dem Karstadt zugange gewesen waren. Und da schau an - zwischen den Lichtstelen und den Sitzwürfeln entdeckte er eine Skulptur, die nicht von ihm stammte. Grob, unbehauen, wuchtiger Körper: Typ Willy Brandt aus dem Berliner SPD-Haus. Diese Skulptur ist nicht von mir!, rief er der herbeigerufenen Presse zu, auch wenn sie sehr expressiv ist. Und leise murmelte er in sich hinein, dass er unbedingt auch mal mit diesem Splitt-Brech-Sand-Gemisch herumexperimentieren wollte.

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